Komm und sag mir, was du sagen willst
- Tee Jay
- Jan 18, 2022
- 4 min read
"Alle 'wirklichen Briefe' werden zerrissen, „zerknüllt, nicht beendet, nicht abgeschickt […].“
- Ingeborg Bachmann
Das schreibt die österreichische Schriftstellerin Ingeborg Bachmann in ihrem Roman Malina über ein ihr altbekanntes Kommunikationsproblem. Nicht zuletzt resultiert eben dieses Kommunikationsproblem auch aus der Unsicherheit des eigenen Gefühls. Interessant wird die These vor allem an dieser Stelle, wo der Kommunikationsweg thematisiert wird. Um diesen und um die Unsicherheit des eigenen Gefühls soll es auch heute gehen.
Wie viele WhatsApp-Nachrichten schickst du so am Tag und wie viel Zeit investiert du generell, um Textnachrichten zu schreiben oder welche zu beantworten? Um ehrlich zu sein würde ich - wenn es nur nach mir gehen würde - immer nur in Memos antworten, nur leider sind die bei meinem Gegenüber nicht unbedingt sonderlich beliebt (und wenn ich ehrlich bin, kann ich sie selbst auch nicht besonders gut leiden). Das geht schneller und ist meist persönlicher (Prosodie, Intonation = weniger Missverständnisse). Schwierig wird es aber dann, wenn mein Memo (das gerne etwas länger wird, ups) die Ausgangslage für mein Gegenüber ist. Das ist dann etwa so, als würde ich beim Badminton einen Medizinball werfen und mein Spielpartner müsste ihn mit dem Schläger treffen, um ihn mir wieder zurückzuspielen. Auf eine endlos lange Sprachnotiz mit einer Textmessage oder einem Memo zu antworten und dabei auf wirklich alles einzugehen, ist zwar machbar, aber eben nichts, was man so nebenbei macht.
Nur leider ist es genau das, wie wir heute kommunizieren: so ganz nebenbei. Wie oft erwische ich mich dabei, während ich mit Freunden zusammen bin, mit anderen Freunden via iPhone zu kommunizieren? Ich meine, was will ich mehr, als Zeit mit denjenigen zu verbringen, die gerade vor mir sitzen? Wieso reicht ein gutes Gespräch heutzutage nicht mehr aus?
Ich glaube nicht zuletzt ist die Art der Kommunikation dafür verantwortlich, dass wir so schnelllebige und leider auch halbherzige Dialoge führen. Eine WhatsApp-Nachricht hier, eine dort, ganz inflationär. Immer, wenn die Gelegenheit da ist, schicken wir Emojis, Memos, Bilder, Videos, kurze Textnachrichten und sind im ständigen Austausch mit unseren Mitmenschen. Schreiben zwischen Tür und Angel und sind immer "up to date", zumindest denken wir das. Denn meiner Meinung nach sind die meisten dieser Unterhaltungen sehr oberflächlich.
Ingeborg Bachmann beschreibt in Malina aber noch ein anderes Kommunikationsproblem. Nämlich das, der Aktualität einer Nachricht. Zu der Zeit, in der das Briefeschreiben ein gängiges Kommunikationsmittel war, war vor allem der Zeitpunkt der Zustellung wichtig. Denn dieser eröffnete zwingend die Frage: Ist das, was mein Gegenüber da schreibt, noch aktuell?
So kann ein Brief, wenn er beim Empfänger ankommt, schon "wertlos" sein, weil sein Inhalt einen Tag später schon nicht mehr zutreffen kann. In Malina legt der Briefträger sogar seine Arbeit nieder, das weibliche Ich (die Protagonistin des Buches) glaubt, als Motivation seiner Handlung das Bewusstsein dieser Problematik zu erkennen. Das Nichtausliefern der Post verhindere somit einen "ohnehin scheiternden Kommunikationsversuch".
Zugegeben ist die Ansicht des weiblichen Ichs eine sehr pessimistische und muss nicht immer zutreffen, eine interessante These ist es dennoch.
Heute gibt's neben einem Zeitstempel, der uns genau verrät, zu welcher Zeit wir eine Nachricht empfangen oder zugestellt haben, noch diese zwei freundlichen blauen Haken, die uns ganz nebenbei noch verraten, wann unsere Nachricht gelesen wurde oder wann wir eine Nachricht gelesen haben [schön, dass man diese Option mittlerweile ausstellen kann].
Eine Nachricht wird also instant zugestellt und ist daher immer super aktuell - das Problem der Aktualität liegt hier also nicht vor. Sind Messangerdienste dem Briefverkehr also weit voraus?
Für mich persönlich hat ein Brief heutzutage [noch immer] viel mehr Gewicht als eine WhatsApp-Nachricht, die ich auf dem Weg vom Sport nach Hause tippe, während ich überlege, was ich gleich essen könnte oder die ich empfange, wenn ich dasselbe tue.
In einem Brief schreibt man die Dinge, die drücken und wehtun, die, die sich leicht anfühlen und die, die lösen. Man löst nicht nur Tinte vom Federhalter, man löst Worte, die sich an die Brust geheftet haben und die nur darauf gewartet haben, sich zu befreien, um woanders anzudocken, nämlich bei ihrem Empfänger. Dort dürfen sie wehtun und eine Schwere auslösen oder sie dürfen für Leichtigkeit sorgen. So oder so; sie dürfen lösen.
- T.-J.
Briefe schreibe ich also dann, wenn eine einfache Nachricht nicht ausreicht, nicht persönlich genug ist, wenn die Worte treffen sollen [sowohl positiv als auch negativ, je nachdem]. Ich schreibe gerne Briefe aus dem Urlaub, zur Weihnachtszeit, zu Geburtstagen, wenn ich etwas ganz dringend los reden muss, weil es mir auf dem Herzen liegt. Eine Textmessage würde dem nie gerecht werden.
Wenn ich mich also wirklich mitteilen will [und ein persönliches Gespräch keine Option ist, genauso wenig wie ein Telefonat] - und das sollte ich in jedem Fall - greife ich auf dieses Kommunikationsmittel zurück. Genauso wichtig wie das aufmerksame Zuhören [wie bereits im letzten Blogpost angeschnitten] ist es also, dass du losredest, was dir auf dem Herzen liegt. Egal, ob gute oder schlechte Nachricht, ein kurzes Update zum Tierarztbesuch mit dem Kater, ein gut gemeinter Ratschlag oder, oder, oder.
Leider stehen wir uns oft selbst im Weg und schlucken die Worte, die [längst] gesagt werden sollten herunter, anstatt sie auszusprechen und uns danach besser zu fühlen. Zu große Angst haben wir vor zwei blauen Häkchen, die uns auf eine andere Art signalisieren: "Was du sagst, ist unwichtig". "Ich nehme dich nicht wahr/ernst". "Deine Bedürfnisse sind nicht wichtig". Aus Angst davor, halten wir lieber unseren Mund [wie das eingangs erwähnte Zitat von Bachmann so schön zum Ausdruck bringt].
Was für ein Schwachsinn, wenn wir in eine so banale Kleinigkeit so viel reininterpretieren und dieser ganzen WhatsApp-Thematik so viel Gewicht verleihen, sodass es uns im Nachhinein sogar unglücklich macht.
Vielleicht sollten wir uns beim nächsten Mal - satt uns selbst wahnsinnig zu machen - etwas mehr Zeit dafür nehmen, uns mitzuteilen. Ich meine wirklich mitzuteilen und das auszusprechen, was uns berührt oder beschäftigt. Glaub mir: Die Gedanken, die wir haben, sind oft viel mehr wert als eine kurze Textmessage, die wir nebenbei verfassen oder nebenbei lesen. Im Idealfall - für die besonderen Dinge - schreibt man sogar mal wieder einen Brief, denn: über die wirklich wichtigen Dinge spricht man doch ohnehin nicht bei WhatsApp, oder?
Hab ein schönes Wochenende mit hoffentlich etwas Sonne und guter Laune!
- T.-J.

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